Die Dämpfe von Michinoku

  • Die Herbstnebel lagen schwer über den Hügeln von Michinoku, als der kaiserliche Zug des Grosskanzlers Toranaga Atsumaro sich durch die goldverfärbten Wälder schlängelte. Die Ahornblätter tanzten in der Brise wie rote Kraniche, und das ferne Rauschen der heissen Quellen kündete von der Nähe des berühmten Yuzawa-Onsen, einem Ort, der seit Jahrhunderten für seine heilenden Wasser verehrt wurde.


    Toranaga Atsumaro, dessen Amtsgeschäfte ihn oft in die steinernen Hallen der Hauptstadt Saizu banden, hatte diesen Besuch nicht nur aus repräsentativen Gründen gewählt, Erwollte sich auch etwas Erholung gönnen. Als er das Badehaus betrat, begleitet von zwei stillen Leibwächtern und dem Hofarzt Shibata Gen’an, empfing ihn der Duft von Zedernholz und Schwefel. Die Architektur war schlicht, doch ehrwürdig: ein Dach aus schwarzem Schiefer, geschnitzte Balken mit Motiven aus der Mythologie Fusos – Drachen, Schildkröten, der Phönix des Wiedererwachens.


    „Eure Exzellenz“, sprach der Onsen-Meister mit tiefer Verbeugung, „das Wasser ist heute besonders klar. Die Quelle hat sich nach dem letzten Regen neu geöffnet.“


    Toranaga nickte, legte den schweren Mantel ab und trat in das innere Becken. Der Dampf umhüllte ihn wie ein Schleier, liess die Welt der Politik, der Protokolle und der Verpflichtungen für einen Moment verblassen. Das Wasser war heiss, aber nicht brennend – es schien, als würde es die Müdigkeit aus den Knochen ziehen, die Gedanken glätten, das Herz beruhigen.


    „Michinoku ist ein Ort der Reinigung“, sagte er leise zu Gen’an, der am Rand des Beckens sass und Notizen machte. „Nicht nur des Körpers, sondern auch des Geistes.“


    Der Arzt lächelte. „Die Mineralien hier – Schwefel, Natrium, Kalzium – fördern die Durchblutung, lindern Gelenkschmerzen, stärken das Immunsystem. Aber es ist die Stille, die heilt.“


    Toranaga schloss die Augen. In der Ferne hörte man das Klopfen eines Holzvogels, das Rauschen eines Wasserfalls. Er dachte an die Bauern, die in den Feldern arbeiteten, an die Kinder, die in den Dörfern lachten, an die Mönche, die in den Tempeln beteten. All das war Teil des Reiches, das er führte – und das ihn führte.


    Nach dem Bad wurde ihm ein einfaches Mahl gereicht: gedämpfter Reis, eingelegte Pflaumen, eine klare Brühe mit Wildkräutern. Kein Prunk, keine Zeremonie – nur Nahrung, wie sie seit Jahrhunderten in Michinoku gereicht wurde.


    Am Abend versammelten sich die Dorfältesten im Hauptraum des Badehauses. Toranaga sprach zu ihnen, nicht als Kanzler, sondern als Gast.


    „Ich bin gekommen, um zu lernen“, sagte er. „Euer Wasser heilt nicht nur den Körper, sondern erinnert uns daran, dass Stärke aus Ruhe entsteht. In Saizu vergessen wir das oft.“


    Die Ältesten verbeugten sich tief. Einer von ihnen, ein Mann mit silbernem Haar und wettergegerbtem Gesicht, trat vor.


    „Eure Exzellenz“, sagte er, „das Wasser ist alt. Es kennt keine Titel. Es nimmt jeden auf, der sich ihm öffnet.“


    Toranaga lächelte. In diesem Moment war er nicht der Architekt der kaiserlichen Politik, sondern ein Mann, der in der Wärme des Wassers seine Menschlichkeit wiederfand.

    Als er am nächsten Morgen abreiste, war der Nebel noch dichter. Doch in seinem Inneren war etwas klarer geworden – eine Erkenntnis, die er später in einem Edikt festhielt:


    „Lasst die Quellen des Landes nicht nur Orte der Erholung sein, sondern der Erinnerung.

    Denn wer sich selbst vergisst, kann kein Reich führen.“


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