Die Klinge von Biwa

  • Der Morgennebel hing noch schwer über dem Dorf Biwa, das sich am Fusse des majestätischen Vulkans Asano in der Provinz Kyūkoku erstreckte. Die Luft war erfüllt vom Duft feuchter Erde, Harz und dem fernen Klang von Hämmern, die auf glühendes Metall trafen. Inmitten dieser Szenerie näherte sich eine kleine Prozession dem Dorf – angeführt von keinem Geringeren als Grosskanzler Toranaga Atsumaro.


    Die Dorfbewohner hatten sich entlang der Hauptstrasse versammelt, um dem hohen Besuch ihre Ehre zu erweisen. Kinder verbeugten sich tief, während alte Männer ihre Stirn beinahe den Boden berühren liessen. Der Grosskanzler, in einen schlichten, aber würdevollen dunkelblauen Abzug gekleidet, erwiderte die Gesten mit einem respektvollen Nicken.


    Sein Ziel war die berühmte Schwertschmiede von Biwa – eine Werkstatt, die seit Generationen für ihre meisterhaften Klingen bekannt war. Dort wartete bereits der Schmiedemeister Hanzo, ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht, grauem Haarknoten und einem Blick, der die Glut des Feuers widerspiegelte, mit dem er täglich arbeitete.


    „Toranaga-sama“, sagte Hanzo mit tiefer Verbeugung, „es ist mir eine grosse Ehre, Euch in meiner bescheidenen Werkstatt willkommen zu heissen.“


    „Die Ehre ist die meine, Meister Hanzo“, erwiderte Toranaga. „Die Kunst des Schwertschmiedens ist ein lebendiges Erbe unseres Volkes. Ich bin gekommen, um sie mit eigenen Augen zu sehen – und mit meinem Herzen zu verstehen.“


    Die Werkstatt war schlicht, aber erfüllt von einer fast heiligen Atmosphäre. Werkzeuge hingen ordentlich an den Wänden, ein Amboss stand im Zentrum, und in einer Grube glühte die Esse. Hanzo begann, dem Grosskanzler die einzelnen Schritte der traditionellen Schmiedekunst zu zeigen – vom Falten des Stahls über das wiederholte Erhitzen und Hämmern bis hin zum Abschrecken im Wasser.


    „Jede Klinge“, erklärte Hanzo, während er mit ruhiger Hand das Metall bearbeitete, „ist ein Spiegel der Seele ihres Trägers. Sie muss stark sein, aber auch flexibel. Scharf, aber nicht zerbrechlich. Wie ein guter Staatsmann.“


    Toranaga lächelte. „Dann hoffe ich, dass ich ebenso geschmiedet bin wie eure Klingen.“


    Der Schmied lachte leise. „Ihr seid es, Toranaga-sama. Das Volk spürt es.“


    Während der Arbeit erzählte Hanzo von der Geschichte seiner Familie, die seit über zwanzig Generationen in Biwa Schwerter schmiedete – einst für Samurai, heute für Zeremonien und als Symbol der Ehre. Er zeigte dem Grosskanzler eine besonders kunstvolle Katana, deren Klinge im Licht schimmerte wie flüssiges Silber. Auf der Tsuba war ein Kirschblütenmotiv eingraviert – ein Symbol für die Vergänglichkeit und Schönheit des Lebens.


    „Diese Klinge“, sagte Hanzo, „habe ich für Euch geschmiedet. Sie trägt den Namen Seishin no Hana – Blüte des Geistes.“


    Toranaga nahm das Schwert mit beiden Händen entgegen, verneigte sich tief und sprach: „Ich werde sie nicht als Waffe tragen, sondern als Erinnerung an die Wurzeln unserer Nation. An die Hände, die sie formen. Und an die Herzen, die sie führen.“

    Nach der Vorführung lud Hanzo den Grosskanzler zu einem einfachen Mahl aus Reis, eingelegtem Gemüse und gegrilltem Fisch ein. Sie sassen auf Tatami-Matten im kleinen Garten hinter der Schmiede, wo ein Bach plätscherte und Kirschbäume ihre letzten Blütenblätter in den Wind entliessen.


    „Was denkt Ihr, Toranaga-sama“, fragte Hanzo, „wird aus Fuso in den kommenden Jahren werden?“


    Toranaga blickte in die Ferne, wo der Asano in der Morgensonne glühte. „Wenn wir unsere Traditionen ehren und zugleich den Mut haben, neue Wege zu gehen, wird Fuso gedeihen. Wie das Schwert – stark, flexibel, schön.“


    Als die Sonne höher stieg und der Grosskanzler sich verabschiedete, verneigte sich das ganze Dorf erneut. Doch diesmal war es nicht nur aus Respekt vor seinem Amt – sondern aus echter Verbundenheit. Denn an diesem Tag hatte Toranaga Atsumaro nicht nur eine Schmiede besucht. Er hatte das Herz von Biwa berührt.


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