Waga | Großes Schauspielhaus von Waga (Waga Dai-Engeki-kan)

  • Großes Schauspielhaus von Waga (Waga Dai-Engeki-kan 和賀大演劇館)

    Bitte melden Sie sich an, um diesen Anhang zu sehen.


    „Die Kunst spiegelt das Reich.“

    「芸は国を映す」


    Am westlichen Ufer des Hiranai-Flusses erhebt sich das Große Schauspielhaus von Waga, das seit beinahe einem Jahrhundert als Bühne und Sinnbild des Nordens gilt. Errichtet im Jahr 1938 als kaiserlich-repräsentativer Theaterbau im Stil der späten Buke-Architektur, überdauerte es Krieg, Frost und Verwaltungsepochen. Der schwere Ziegelbau mit seinen Chrysanthemenreliefs wurde nach dem Brand von 2023 teilweise zerstört, aber nicht aufgegeben. Unter Leitung des Architekten Naitō Seijūrō entstand 2024–2025 ein Neubeginn: ein Bau, der Vergangenheit und Gegenwart vereint.


    Heute zeigt sich das Schauspielhaus als Hybrid aus restauriertem Kern und digitaler Erweiterung. Die alte Hauptfassade – rau, von Brandspuren gezeichnet – öffnet sich zu einem neuen Flügel aus Glas und Sichtbeton, verbunden durch eine goldene Lichtlinie, die bei Dämmerung zu glimmen beginnt. Im Inneren finden sich Eschenholz aus den Werften von Nigoro, transluzente Bühnenflächen und ein LED-Himmel aus 12 000 Lichtpunkten. Unter dem Zuschauerraum liegen die versiegelten Techniktrakte, in denen man während der Restaurierung das unvollendete Projekt Aurora entdeckte – ein geheimnisvolles Lichtsystem aus der frühen Digitalära.


    Das Schauspielhaus steht an der Schwelle zwischen Geschichte und Gegenwart. Es ist Bühne, Archiv und Symbol zugleich – ein Ort, an dem klassische Nō-Stücke und moderne Lichtkunst verschmelzen, wo Beamte, Künstler und Bürger aufeinandertreffen. Das Wasser des Hiranai-Flusses spiegelt nachts seine Fassade; die Besucher nennen es den „Spiegel des Nordens“.


    Seit seiner Wiedereröffnung im November 2025 gilt das Waga Dai-Engeki-kan offiziell als „Nordisches Nationaltheater“ der Provinz Yezo. Es steht für Disziplin, Wiederaufbau und die stille Würde eines Landes, das gelernt hat, in der Kälte Schönheit zu finden.

  • Offizieller Spielplan 2025–2026 „Masken des Nordens“ – Zyklus der Erinnerung und des Lichts

    Direktion: Intendant Hoshikawa Rintarō (星川麟太郎)

    Leitung des künstlerischen Programms: Kuratorin Miyabe Ayaka (宮部彩花)

    Saisonzeitraum: November 2025 – Dezember 2026

    Einleitung

    Nach zwei Jahren der Restaurierung öffnet das Große Schauspielhaus von Waga seine Tore erneut – als Bühne des Nordens, auf der Tradition und digitale Moderne in einem stillen Gleichgewicht zusammentreffen. Der neue Zyklus „Masken des Nordens“ führt durch zwölf Stücke, die den Wandel Yezos zwischen Erinnerung, Pflicht und Fortschritt spiegeln.


    „Wir spielen nicht, um zu vergessen – wir spielen, damit das Reich sich selbst erkennt.“

    — Intendant Hoshikawa Rintarō, zur Wiedereröffnung 2025


    SPIELPLAN


    November – Dezember 2025

    „Der Schild des Nordens“ (北の盾, Kita no Tate)

    Eröffnungsinszenierung zur Wiedereröffnung: Ein alter Krieger kehrt an die gefrorenen Küsten Yezos zurück und erkennt, dass nicht Feinde, sondern das Vergessen selbst seine größte Prüfung ist. Klassische Nō-Struktur in verschneitem Bühnenbild, kombiniert mit holografischen Schneestürmen und Chorgesang.


    Januar 2026

    „Spiegel im Eis“ (氷の鏡, Kōri no Kagami)

    Eine Hofdame sieht im gefrorenen See die Vergangenheit – und erkennt sich selbst als Schatten. Projektionen auf Eisschichten erzeugen eine fragile Atmosphäre aus Erinnerung und Identität.


    Februar 2026

    „Die Laterne der Stille“ (静の灯, Shizu no Hi)

    Ein Tempelwächter kämpft gegen den Wind, um das ewige Licht zu bewahren. Drohnenlicht und Nō-Tanz verschmelzen zu einem stillen Gebet über Pflicht und Loslassen.


    März 2026

    „Die Stimme im Archiv“ (文の声, Fumi no Koe)

    Ein Beamter hört in Aktenkellern Stimmen aus der Vergangenheit. Zwischen Trommeln und Datenrauschen erwacht das Gedächtnis der Verwaltung – ein Gleichnis über Verantwortung.


    April 2026

    „Blüte im Frost“ (霜花, Shimobana)

    Eine wandernde Bikuni aus dem Frosttempel, die im Schnee eine Blume findet, die nur jenen erscheint, die das Erinnern nicht verlernt haben. Tänzer bewegen sich durch Lichtfelder aus digitalem Schnee – Sinnbild für Reinheit und Verzicht.


    Mai 2026

    „Der goldene Faden“ (金の糸, Kin no Ito)

    Ein Weber fertigt einen Stoff, der Zukunftsbilder zeigt, und verliert sich in ihnen. Laserfäden und Projektionen verweben Arbeit, Hybris und Schicksal zu einem glühenden Teppich aus Licht.


    Juni 2026

    „Der Atem des Meeres“ (潮の息, Shio no Iki)

    Ein Fischer hört in den Wellen die Stimmen der Ertrunkenen. Eine akustisch immersive Inszenierung mit Nebel, Duft und Wasserreflexion – eine Geschichte über Schuld und Erlösung.


    Juli 2026

    „Masken der Beamten“ (官の面, Kan no Men)

    Satirisches Nō über Funktionäre, die ihre Gesichter tauschen, um Verantwortung zu vermeiden. LED-Masken flackern im Rhythmus höfischer Musik – eine bittere Komödie in ruhigem Takt.


    August 2026

    „Feuer der Zikaden“ (蝉火, Semibi)

    Zwei Kindergeister kehren jeden Sommer zurück, um ein Lied zu beenden. Holografische Hitzeverzerrungen und Nō-Chor verbinden Leichtigkeit mit Wehmut.


    September 2026

    „Das Haus ohne Schatten“ (影なき館, Kage-naki Yakata)

    Ein Architekt baut ein Gebäude, das kein Licht reflektiert – bis er selbst darin verschwindet. Projektionen von Dunkelheit und Klang bilden eine Bühne über Selbstverlust.


    Oktober 2026

    „Schneefall über Waga“ (和賀の雪, Waga no Yuki)

    Eine Schauspielerin kehrt als Geist zurück, um die letzte Aufführung des alten Theaters zu sehen. Echos alter Tonbänder und Live-Chor verbinden Gegenwart und Erinnerung.


    November – Dezember 2026

    „Der Tag, an dem der Himmel schwieg“ (空黙の日, Kūmoku no Hi)

    Priester bemerken, dass die Sonne nicht mehr aufgeht, weil niemand mehr betet. Ein stilles, apokalyptisches Finale – Klang, Projektion und Schweigen verschmelzen zu einem letzten Bekenntnis der Treue.

    Ästhetik und Wirkung

    Der Zyklus „Masken des Nordens“ versteht sich als Hommage an das wiedergeborene Yezo – eine Bühne zwischen Frost und Feuer, Pflicht und Gefühl. Jedes Stück ist zugleich Spiegel und Prüfung: der Versuch, in der Ruhe der Masken das pochende Herz des Reiches zu finden.

  • Ankunft vor der Bühne des Nordens


    Der Abend fiel früh über Waga. Vom Fluss stieg ein Nebel auf, der die Lampen der Uferpromenade wie versiegelte Monde erscheinen ließ. Auf den nassen Pflastersteinen spiegelte sich das Licht der goldenen LED-Linie, die entlang der Fassade des Großen Schauspielhauses verlief – ein Strich aus Feuer, der das Alte und das Neue verband.


    Am Fuß der Freitreppe warteten Wagenkolonnen. Chauffeure in dunklen Uniformen öffneten Türen, über die Wasser tropfte. Kameras klickten, als die ersten Gäste ausstiegen: Vertreter der Präfekturen, Abgesandte der Familienclans, Beamte des Kulturministeriums, Pressekorrespondenten aus Saizū-miyako.


    Ein gedämpftes Stimmenmeer füllte die kühle Luft. „Der Gouverneur ist im Begriff einzutreffen,“ flüsterte ein Offizier in der Logistiksektion und richtete die Linie der Empfangsbeamten aus – exakt zwei Meter Abstand, Hände auf den Aktenmappen.


    Dann hielt der schwarze Regierungswagen. Das Licht der Scheinwerfer glitt über den nassen Granit, als Kiryū Masanobu, Gouverneur der Provinz Yezo, ausstieg. Sein Mantel war grau, sein Blick fest, die Bewegung seines Grußes präzise. Hinter ihm folgten die Präfekten Okabe Haruyoshi, Moriyama Haruto, Kawanami Sachiko, Hayashida Midori, Iwakura Renji und Aoyama Kōsuke – jede Gestalt ein anderes Gewicht der Provinz.


    An der Treppe erwartete sie Intendant Hoshikawa Rintarō, schlank, in schwarzem Kimono und Mantel aus synthetischer Seide. Neben ihm stand Kuratorin Miyabe Ayaka, deren Brosche das Licht wie Frost zurückwarf. Sie verneigten sich tief.


    Hoshikawa: „Eure Exzellenzen, willkommen an der Bühne des Nordens. Zwei Jahre Schweigen liegen hinter uns – heute sprechen wir wieder.“


    Kiryū: „Möge das, was hier gesprochen wird, das Reich erinnern, wer es ist.“


    Ein kurzer Applaus erhob sich aus der Menge. Reporter fotografierten, als sich die Türen des Schauspielhauses öffneten und warmes Licht in den Nebel floss.


    Im Foyer warteten junge Männer und Frauen in schlichten, hellen Uniformen des Kulturamtes. Sie reichten Tassen mit dampfendem Grüntee, nahmen Mäntel entgegen, führten Besucher zu den Rängen. Ihre Bewegungen waren leise, fast zeremoniell – wie ein Ritual des Willkommens. Über Lautsprecher erklang ein gedämpfter Gong. Im Hintergrund liefen Archivaufnahmen alter Aufführungen – stumm, in monochromem Licht.


    Gäste schoben sich in kleinen Gruppen durch den Raum, unterhielten sich mit jenem höflichen Lächeln, das alles sagen und nichts verraten konnte.

  • Bitte melden Sie sich an, um diesen Anhang zu sehen.


    (Großes Schauspielhaus von Waga, Foyer, 2. November 2025 – 19:35 Uhr)


    In der Nähe der Fenster stand Aoyama Kōsuke, Präfekt von Dosanko. Sein Mantel glänzte vom feinen Regen, sein Blick ruhte auf der Lichtlinie, die sich über die Fassade zog. Neben ihm sprach leise Kawanami Sachiko – in einem kimonoähnlichen Abendkleid, die Hände in den Ärmeln verborgen.


    „Schön, dass sie es wieder aufgebaut haben. Man hätte auch alles abreißen können – und niemand hätte gefragt.“

  • Einige Meter entfernt beobachtete Iwakura Renji das Gespräch, stumm, nur den Tee in der Hand. Seine Schwester, so hieß es, sei einst hier aufgetreten – bevor das Feuer kam.


    Nahe dem Treppenaufgang zum Balkon sammelten sich Vertreter der großen Familienclans. Okabe Chikanori unterhielt sich mit einem älteren Mann der Tadami-Werften, der diskret eine Mappe mit dem Siegel des Handelsministeriums trug. Ihre Stimmen waren gedämpft, aber fest.


    „Wenn die Subventionen für Kulturprojekte bestätigt werden, fallen auch die Hafenmittel leichter. Ein Publikum, das sich erinnert, handelt ruhiger.“


    „Und ein Reich, das ruhig handelt, braucht Schiffe, Chikanori-dono.“, entgegnet der Vertreter.


    „Dann segeln wir beide – nur in verschiedene Richtungen.“

  • In der Mitte des Foyers trat Intendant Hoshikawa Rintarō hinzu, begleitet von Kuratorin Miyabe Ayaka. Ihre Präsenz löste leises Murmeln aus.


    „Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, in wenigen Minuten Ihre Plätze einzunehmen. Der Schild erhebt sich nur einmal – und nie zur Unzeit.“


    Ein Gong hallte, sanft und würdevoll.

    Die Gespräche verflachten, die Gäste begannen, sich zu bewegen.


    Die Clanmitglieder verneigten sich diskret voreinander, ein Austausch aus Blicken, Versprechen, Andeutungen.

  • Nur Kawanami Sachiko blieb einen Moment zurück, den Blick auf die spiegelnde Glaswand gerichtet, in der sich ihr Gesicht mit der goldenen Lichtlinie mischte.


    „Masken,“ murmelte sie, kaum hörbar. „Alle tragen sie – sogar das Haus.“


    Dann wandte sie sich ab und folgte den anderen in den Saal.


    Draußen begann es wieder zu schneien.

  • (Großes Schauspielhaus von Waga, 2. November 2025 – Beginn der Aufführung)


    Das Licht im Saal erlosch in Schichten. Zuerst die Ränge, dann die Logen, zuletzt die feinen Linien an den Balustraden. Nur der schwache Schein der Notbeleuchtung blieb – ein kaltes Blau, das sich auf den Gesichtern der Anwesenden brach.


    Ein Gong. Langsam, wie aus weiter Ferne.

    Dann ein zweiter, tiefer, vibrierender Schlag, der das Holz des Zuschauerraums erzittern ließ. Dann – der dritte und letzte Gong.


    Der Vorhang öffnete sich nicht sofort.

    Stattdessen flackerte an der Bühnenkante eine Projektion auf – feine Schneekristalle, die im Dunkel schwebten, als würden sie erst geboren. Das Geräusch eines Windes, dumpf und metallisch, wehte aus den Lautsprechern.


    Langsam hob sich der Vorhang.


    Hinter ihm: eine Landschaft aus gefrorenem Licht. Eiswände, die sich in Bewegung setzten, projizierte Nebel, Silhouetten. In der Mitte stand ein Mann in alter Kriegsrüstung, der Schild an seine Seite gelehnt. Das Metall schimmerte wie Glas.


    Erster Vers:

    „Ich stand am Rand der Welt,

    und die Welt schwieg.

    Nur mein Atem zählte die Jahre.“


    Seine Stimme hallte nicht von den Lautsprechern, sondern direkt aus dem Raum – jeder Satz wurde von einem Chor aus unsichtbaren Stimmen begleitet, Frauenstimmen, die wie Schnee fielen.


    Das Bühnenbild wandelte sich: Aus den Eisschollen wuchsen Häuser, Straßen, Silhouetten einer Stadt – Waga selbst, im Winter. Auf den Leinwänden hinter der Bühne erschienen Dokumente, alte Verwaltungsstempel, Telegramme aus dem Archiv des Jahres 1951.


    Im Zuschauerraum regte sich niemand. In der zweiten Loge beobachtete Gouverneur Kiryū Masanobu das Spiel mit unbewegtem Gesicht, während Intendant Hoshikawa an seiner Seite stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.


    Chor:

    „Erinnerung ist kein Geschenk,

    sie ist eine Pflicht.“

  • Bitte melden Sie sich an, um diesen Anhang zu sehen.


    Das Bühnenlicht wechselte zu einem goldenen Ton.


    Ein junges Mädchen trat auf – weißer Mantel, rote Handschuhe, eine Laterne in der Hand. Sie stellte sich neben den alten Krieger und sprach leise:


    „Wenn du den Schild trägst,

    vergiß nicht, dass du ihn für die trägst,

    die dich vergessen werden.“


    Das Publikum hielt den Atem an.


    Ein einzelner Schneekristall – projiziert in der Luft – begann zu rotieren, zerfiel in tausend kleine Splitter aus Licht.


    Dann Dunkel.


    Ein Moment vollkommener Stille, bevor der Gong erneut erklang – diesmal wie ein Herzschlag.


    Draußen am Fluss wehten Fahnen im Wind.


    Drinnen begann Yezo, sich selbst zu erkennen.

  • (Großes Schauspielhaus von Waga, Foyer, 2. November 2025 – Zwischenakt des Stückes „Der Schild des Nordens“)


    Das Licht im Saal war erloschen, die Türen zum Foyer standen offen. Ein Strom aus Stimmen und Atem trat hinaus in den Raum, als die Zuschauer die Pause suchten. Bedienstete reichten Tee, gedämpfte Musik überbrückte die Stille, die das Stück hinterlassen hatte.


    In den Ecken des Foyers flackerten die Reflexionen des Flusses, und das goldene Band der Lichtlinie pulsierte wie ein Herzschlag durch die Glasfront. Zwischen Presse und Beamten mischten sich vertraute Gestalten – die Mitglieder der großen Familien, die sich in respektvoller Entfernung vom Rest der Menge aufhielten.

  • Bitte melden Sie sich an, um diesen Anhang zu sehen.


    Okabe Chikanori stand nahe der Treppe zum Balkon, den Blick auf die Menschenmenge gerichtet. Neben ihn trat Kawanami Sachiko, den Mantel leicht über die Schultern gezogen.


    „Es war kühn, den Schild nicht aus Stahl, sondern aus Erinnerung zu schmieden. Das Publikum erkennt sich selbst in dieser Schwäche.“

  • „Oder in der Pflicht, stark zu wirken, obwohl man längst müde ist. Die Bühne spiegelt uns – und wir nennen es Kunst.“


    Ein Kellner neigte sich mit einer Teeschale, sie nahm sie kaum beachtet entgegen. Jemand aus der Presse sprach von einer „Renaissance des Nordens“, ein Kulturbeamter erwähnte die Worte des Gouverneurs.

  • Im Foyer hing noch der Duft von heißem Tee und Lack. Die Gäste bewegten sich in ruhigen Wellen zwischen den Säulen; leises Gespräch, gedämpftes Lachen, das Rascheln von Programmen. Draußen fiel Schnee, und das Licht der Wasserterrasse brach sich golden in den Fenstern.


    Zwischen den Gruppen trat eine Frau in grauem Mantel hervor – eine Beamtin des Kaiserlich-Kulturellen Informationsdienstes. Man flüsterte, sie sammele Eindrücke für den Abendbericht. Ihr Notizheft lag offen in der Hand, doch sie schrieb noch nichts.


    Sie näherte sich Okabe Chikanori und Kawanami Sachiko, die gerade ihr Gespräch beendet hatten. Man sah, wie sie sich leicht verneigte, einige Worte sprach; höflich, dienstlich, mit jener Mischung aus Pflicht und Neugier, die Journalisten des Reiches auszeichnete.


    „Ein Haus, das brennt, und dennoch stehen bleibt – das ist Yezo. Wenn die Bühne heute spricht, dann mit unserer Stimme.“

  • Die Frau nickte, ihr Stift bewegte sich kurz. Dann wandte sie sich an Kawanami Sachiko, deren Blick einen Moment auf der hellen Lichtlinie an der Fassade ruhte.


    „Die Provinz hat gelernt, im Schweigen zu arbeiten. Heute erlaubt sie sich, laut zu träumen. Aber Träume, Tachibana-san, sind immer Berichte über den Zustand des Reiches.“


    Die Beamtin soll leise etwas erwidert haben, ein Dank oder eine höfliche Formel, ehe sie sich zurückzog. Man sah, wie sie ihre Mappe schloss, eine Nachricht entgegen nahm und in Richtung des Seitengangs verschwand, wo Offizielle des Informationsdienstes warteten.


    Einige Umstehende flüsterten über ihre Worte, andere taten, als hätten sie nichts gehört. Der Schnee draußen fiel dichter; in den Fenstern spiegelte sich das Banner über dem Eingang:


    Masken des Nordens – Erinnerung und Licht.

  • (Großes Schauspielhaus von Waga, 2. November 2025 – Ende der Pause, kurz vor Beginn des zweiten Aktes)


    Der Gong hatte zweimal geschlagen.

    Ein leises Rascheln ging durch das Foyer, als die Besucher ihre Plätze wieder einnahmen. Die Bediensteten sammelten leere Teeschalen ein, das Licht wurde gedimmt. Draußen fiel der Schnee dichter, und die Scheiben des Schauspielhauses begannen zu beschlagen.


    Die Clanmitglieder traten fast gleichzeitig in Bewegung – als hätten sie einen stillen Takt vernommen, den nur sie hörten. Ein Beamter des Kulturamtes verneigte sich, deutete Richtung Saal, man sah höfliche Gesten, leise Stimmen, ein Lächeln, das Protokoll war.


    Okabe Chikanori blieb einen Moment zurück, die Hand auf dem Geländer. Er sah auf den Fluss hinaus, in dem sich die Lichter des Theaters spiegelten. Kawanami Sachiko trat neben ihn, ohne ein Wort.


    „Man sagt, der zweite Akt sei das Herz. Wenn er versagt, fällt der Rest in sich zusammen.“

  • „Und wenn er gelingt, erinnert man sich an nichts anderes mehr.“


    Sie wandten sich um, traten in den Gang. Von den Wänden drang das gedämpfte Summen der Bühne, wie das Atmen eines großen Tieres. Ein Mitarbeiter der Lichttechnik eilte vorbei, verneigte sich, ein Funkgerät in der Hand; irgendwo blinkte ein grünes Signal.

  • Im oberen Rang warteten Iwakura Renji und Hayashida Midori an den Logentüren. Ein junger Platzanweiser sprach leise zu ihnen, man hörte das Wort „Sitzordnung“, und beide nickten stumm.


    „Ordnung ist das leise Gesicht der Erinnerung.“

  • „Und Unordnung – das, woran man sich wirklich erinnert.“


    Ein Glockenton. Die Türen des Saales öffneten sich wieder, und warme Luft trat heraus, gemischt mit dem Geruch von Holz, Staub und kaltem Metall. Der Chor hatte bereits Stellung genommen, das Publikum setzte sich.


    Die Clans nahmen ihre Plätze ein, jede Bewegung ruhig, präzise, wie ein Gebet. Die Gespräche verebbten. Nur das Rauschen der Heizungsanlage mischte sich in den letzten Moment vor dem Dunkel.


    Dann erloschen die Lampen im Foyer. Die goldene Linie an der Fassade leuchtete noch ein einziges Mal auf – als wollte sie sich vergewissern, dass das Licht zurückkehrte.


    Und als sich die Türen schlossen, begann die Bühne zu atmen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!